FLIEGENDE NACHBARSCHAFTEN

Im Jahr 2023 starteten wir ein soziokulturelles Vorhaben mit Bewohner:innen von Gemeinschaftsunterkünften, um zentrale Fragen des Zusammenlebens und der Gestaltung von Gemeinschaften zu erforschen. Dabei wollten wir verstehen, wie Nachbarschaft innerhalb der Unterkünfte erlebt wird und welche Bedeutung die Kultur des Teilens für das soziale Miteinander hat. Das Leben auf engem Raum und in den besonderen Gegebenheiten von Gemeinschaftsunterkünften, oft in Form sogenannter Containerdörfer, stellt dabei eine besondere Herausforderung dar. Schnell wurde deutlich, dass nicht nur die räumlichen Gegebenheiten, sondern auch sprachliche, soziale und mentale Barrieren sowie Macht- und Diskriminierungsverhältnisse die Entwicklung einer offenen und lebendigen Gemeinschaftskultur erschweren.

Diese Erkenntnisse führten zu einem intensiven Austausch mit den Bewohner:innen und bildeten die Grundlage für das Projekt „Fliegende Nachbarschaften“. Im Mittelpunkt standen die Fragen: Wie können in den engen und besonderen Gegebenheiten von Gemeinschaftsunterkünften Räume entstehen, die individuelle Rückzugsorte und gemeinschaftsfördernde Orte zugleich bieten? Wie können künstlerische und bauliche Interventionen soziale Barrieren überwinden und das Miteinander stärken, ohne Menschen zu überfordern? Und wie können solche Prozesse so gestaltet werden, dass sie die Vielfalt der Bedürfnisse, Perspektiven und alltäglichen Realitäten der Bewohner:innen berücksichtigen?
Zwischen Mai und Oktober 2024 setzten wir diese Überlegungen in der Geflüchtetenunterkunft am Columbiadamm um, die ein Zuhause für fast 800 Menschen und Haustiere ist. Mit dem Ziel, Orte zu schaffen, die nicht nur funktional, sondern auch gemeinschaftsfördernd wirken, entwickelten und bauten wir in enger Zusammenarbeit mit den Bewohner:innen mehrere Begegnungslandschaften. Diese dienten nicht nur als physische Treffpunkte, sondern sollten auch soziale und emotionale Verbindungen fördern. Das Projekt brachte Menschen verschiedenster Altersgruppen, Herkunftsregionen und Geschichten zusammen – solche, die erst seit kurzem in der Unterkunft leben, und solche, die schon längere Zeit dort zu Hause sind. Gemeinsam gestalteten sie diese Orte, wodurch nicht nur Räume, sondern auch neue Formen des Miteinanders entstanden.
In diesen Monaten entwickelten sich ganz unterschiedliche Formen der Begegnung: Manche waren spontan und direkt, andere erforderten Zeit, Geduld und ein behutsames Herantasten. Vertrauen und Beteiligung wuchsen oft langsam, während die alltäglichen Herausforderungen des Lebens in der Unterkunft spürbar blieben. Das gemeinsame Arbeiten, Planen und Gestalten war dabei nicht immer einfach, doch es bot Raum für wertvolle Erfahrungen und neue Perspektiven auf das Zusammenleben.

Die Begegnungslandschaften wurden zu Orten, an denen nicht nur physische Barrieren überwunden, sondern auch soziale Dynamiken reflektiert und neu gestaltet werden konnten. Sie machten sichtbar, wie unterschiedlich die Bedürfnisse und Perspektiven innerhalb einer Gemeinschaft sein können – und wie wichtig es ist, Prozesse flexibel und offen zu gestalten. So war das Projekt nicht nur eine Antwort auf bestehende Herausforderungen, sondern auch ein Experiment, um Gemeinschaft in all ihrer Vielfalt erfahrbar zu machen und weiterzuentwickeln.

Das Projekt ist ein Teil von DRAUSSENSTADT und wird gefördert vom Berliner Projektfonds Urbane Praxis sowie von der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Beteiligte Kunstschaffende und Kollektive

Wirya Budaghi, Adnan Çelik, Concernists Collective, Doğukan Karakuş, Fahrrad Kultur Kollektiv 3.000 e.V., Koopkultur e.V., Maria Kovaleva, Kulturlabor Trial & Error e.V., Mosaizistas Gbr., Playtronica, Political Kitchen Collective, Bariş Seyitvan, Eric Tournoux, Thomas Wienands